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Sei großzügig im Kleinen - Warum sich langfristige Kundenbeziehungen auszahlen

Als Dozent für Beschwerdemanagement halte ich jede Woche in unterschiedlichen Tagungshotels Seminare und Workshops und bin dort als Gast untergebracht. Neulich war ich in einem Hotel, in dem unter dem Dach ein großer Seminarraum war. Ein großzügiger Pausenbereich war davor und exklusiv für meine Teilnehmer und mich zur Nutzung überlassen. Dort gab es in einer Art Schrank eine Kaffeemaschine. Leider war sie lediglich um 10:30 Uhr und um 15:00 Uhr zugänglich, vor und während dem Seminar und in der Mittagspause war sie verschlossen. Auf Grund der Bitte der Teilnehmer fragte ich einen Mitarbeiter, ob es denn nicht möglich sei, dass der Schrank mit der Kaffeemaschine den Tag über einfach offen bleiben könnte, denn nur wir hatten ja Zugriff darauf und manch ein Teilnehmer (und der Dozent) benötigt auch zwischen den zwei Pausen einen Kaffee. Dieser Wunsch wurde leider abgelehnt, da nur während der zwei Kaffeepausen das Kaffeetrinken eingeplant sei. Sonst würde der Kaffeekonsum womöglich "ausufern" und das wollten sie durch das Einschließen der Maschine verhindern.


Der Frust bei uns im Seminar war groß. Selbst Bestechungsversuche und die Bereitschaft für den extra Kaffee zu bezahlen waren erfolglos. In den Seminarbewertungsbögen der Teilnehmer ist das Hotel dann gnadenlos durchgefallen und wird nun von uns nicht mehr als Veranstaltungsort gebucht. Hat sich diese Geschäftspolitik zumindest kurzfristig gelohnt? Bei einer Tagungspauschale von ca. 50€ pro Person und bei einem geschätzten Preis von ca. 0,30 € pro Tasse Kaffee denke ich, wäre auch bei einer Tasse mehr Kaffee pro Person das Hotel noch in der Gewinnzone geblieben. Nicht einmal Betriebswirtschaftlich lässt sich dieses Verhalten erklären und ist absolutes Gift in der Kundenbeziehung. Sei großzügig im Kleinen, das zahlt sich langfristig aus.


Weitere Beispiele gefällig? Ein neuer Online-Lebensmittelhändler mit umweltfreundlichen E-Flitzern hat eine Mindestbestellmenge von 25€ pro Lieferung aufgerufen. Das ist für die 17,3 Millionen Singlehaushalte ein Wert, der zu erreichen ist und für das Lieferunternehmen über dem Break-Even, also kostendeckend. Auch beim Aufbau der Kundenbeziehungen haben sie viel richtig gemacht. Eine handgeschriebene Karte und eine Rolle Kekse bei der ersten Lieferung, beim Austausch einer nicht lieferbaren Ware haben sie kostenlos ein Ersatzprodukt hinzugefügt, die App ist Nutzerfreundlich, man kann das Lieferfahrzeug sogar virtuell verfolgen.


Auf Grund des Andrangs der Bestellungen in der Corona-Zeit wurde ein zweites Lager eröffnet, viel mehr Fahrzeuge eingesetzt und der Mindestbestellwert auf 35€ erhöht. Das mag nicht viel sein und erst einmal ist es ja aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, denn dann ist die Marge pro Bestellung höher. Doch leider schließen sie so die vielen Singlehaushalte aus ihrem Kundenstamm aus und verärgern unverhältnismäßig viele Stammkunden. Wo ist also die Gefahr? Wenn sich das Lebensmitteleinkaufsverhalten wieder normalisiert, werden die Großbestellungen zurück gehen. Leider sind die Singlehaushalte dann bereits umgestiegen, da sie ja ausgeschlossen wurden. Das kann zum echten Problem werden. Und jedes Investment in die Kundenbeziehungen war umsonst.


Viele verteufeln Amazon. Aber sie haben es verstanden und setzen auf die langfristige Kundenbeziehung. Sie liefern mir auch eine Zahnpasta für 2€ ohne Lieferkosten, da springt bestimmt nichts ab für Amazon. Doch die langfristige Beziehung zu mir als Kunde wird gestärkt. Ich weiß, ich kann mich auf Amazon immer verlassen. Und Amazon weiß, die nächste teure Bestellung wird bestimmt kommen, ich als Kunde werde vielleicht nicht für immer Single sein und die nächste Gartenparty kommt auch irgendwann. Langfristig zahlt es sich also aus.


Die nachhaltigere Wachstumsstrategie des Online-Lebensmittelhändlers könnte also sein, zuerst seine Bestandskunden dauerhaft zufrieden zu stellen und dabei organisch weiter zu wachsen. Denn besser ist es bei kurzfristigen Überlastungen, die bestehenden Kunden zufrieden zu stellen und lieber Neukunden kurzzeitig auszuschließen. Das kann sogar durch diesen "VIP-Effekt" einen zusätzlichen Neukundenstrom erzeugen.


Durch den Ausschluss der Single-Kunden durch die Erhöhung des Mindestbestellwerts werden die Fahrtwege zwischen den verbleibenden Kunden wesentlich länger, was die Marge insgesamt drücken wird. Amazon ist nicht ohne Grund der erfolgreichste Online-Händler und alleine auf Lokalpatriotismus zu setzen anstatt auf Kundenservice wird sicher nicht reichen.


Noch ein Beispiel? Diesmal aus der Mitarbeitersicht. Aber Mitarbeiter sind auch "Kunden," die zufrieden bzw. unzufrieden sein können und das wesentliche Auswirkungen auf die gesamte Performance des Unternehmens hat. Eine Bank hat im Zuge der Finanzkrise 2008 und der Gebrüder Lehman einen Milliardenverlust eingefahren. Neben vielen anderen Sparmaßnahmen wurde der Kaffee in den Büros kostenpflichtig. "30 Cent pro Tasse, Azubis müssen sofort bezahlen" steht dort an der Maschine. Macht das wirklich Sinn? Wenn ein Mitarbeiter 3 Tassen Kaffee pro Tag trinkt, sind das 18€ Ersparnis pro Mitarbeiter und Monat. Bei einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt eines Bankkaufmanns von 2900€ pro Monat sind das 0,621% seines Gehalts. Macht es Sinn, dafür reihenweise Mitarbeiter zu frustrieren?


Es gibt für jede Strategie Vor- und Nachteile und Argumente dafür oder dagegen. Der langfristige Erfolg eines Unternehmens ist aber maßgeblich mit zufriedenen (Stamm-)Kunden verknüpft. Jeder der das verstanden hat und konsequent umsetzt, wird der Konkurrenz immer meilenweit voraus sein. Sei großzügig im Kleinen!

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